82 Stunden ohne Wasser, 88 Stunden ohne Essen, alleine auf einem Berg in den Alpen
was ich dabei gedacht, gefühlt und erlebt habe, möchte ich gern in diesem Artikel teilen.

Im Grunde genommen war es eine äußerst intensive Erfahrung, die aus dem Ruf meiner inneren Stimme entstanden ist. Was mich motiviert hat, war „mit mir selbst noch mehr in Kontakt zu kommen“ und die Herausforderung bei allen, erwartbaren Emotionen „in Frieden zu bleiben mit dem was in mir hochkommt“. Alles in allem war es eine sehr wertvolle Erfahrung. Doch erstmal zum Rahmen der ganzen Aktion – wie, wo, was ist da genau geschehen?

Die Vissionssuche, bzw. Vision Quest, basierend auf einer schamanischen Tradition der Lakota, einer indigenen Stammesgruppe aus Nordamerika, ist eine rituelle Praxis, die Menschen unterstützen soll ihren eigenen Lebensweg zu finden und tiefer mit der (inneren) Natur in Kontakt zu kommen. Es ist eine Zeremonie, eine Erinnerung an die Riten unserer Ahnen und eine Würdigung des Lebens. Die meisten Menschen der westlichen Kultur haben den Kontakt zu sich selbst und den Kreisläufen des Lebens verloren. Dieses Ritual erinnert uns an unsere tiefere Wirklichkeit und unseren Kern.

Die Visionsreise beginnt bereits einige Tage bevor die „Visionäre“ sich alleine auf den Berg begeben.

Die ersten Tage sind der persönlichen Ausrichtung und der Intention gewidmet, eine Phase der Vorbereitung, die den Körper und Geist klären und nähren soll. Wir waren dazu angehalten eine rote Schnur sowie Bauwoll-Stoffe in den Farben gelb, rot, schwarz und weiß mitzubringen – um 404 Gebete, einzeln in den Tabak zu sprechen, und sie an den roten Faden zu binden. Diese Schnur, mit den Gebeten dran, wird später den Bereich eingrenzen, indem wir uns aufhalten dürfen.  Sie soll gleichzeitig auch ein Schutz darstellen und uns an die vielen Gebete erinnern, die wir hineingesprochen haben. In dieser ersten Phase der Vision Quest wurden wir mit bestem, veganem Essen auf das Fasten eingestimmt, sowie mit täglichen Schwitzhütten, die uns bis aufs äußerste mental und physisch gestärkt haben. Stell’ dir einfach vor, dass du bei gefühlt 90°C, eng an eng mit anderen Menschen in einer dunklen „Gebärmutter“ sitzt, während die Minuten sich anfühlen wie Stunden, und dein ganzes System einfach nur raus möchte. Doch die Aufgabe ist zu bleiben, wie ein Krieger den Schmerz zu ertragen und leise zu leiden. Das klingt nicht nur hart, das war es auch. Doch es hat uns bestens auf die Zeit auf dem Berg vorbereitet.  

Die Zeit auf dem Berg – allein in der Natur

In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag begann bereits die Einkehr. Nach einem gemeinsamen, einleitenden Ritual in einem Tipi, wo wir alle gemeinsam am Feuer gesungen, gebetet und den letzten Schluck Wasser zu uns genommen haben, durften wir ab Mitternacht still werden und sollten jeglichen Augen-Kontakt mit den anderen Menschen um uns herum bereits einstellen. Am frühen Donnerstagmorgen gingen wir nochmal gemeinsam in die Schwitzhütte – 2 relativ kurze, doch sehr heiße Runden schickten mich nochmal, wie so oft, zu Boden. Auf den Berg wurden wir begleitet von unseren „Apoyos“, in meinem Fall war es Laura. Sie hat in den 3 Nächten und 4 Tagen, die ich auf dem Berg saß, für mich im Basislager gesungen, gebetet und gegessen, um mir telepathisch Kraft und Energie zu schicken. Eine Zeit der Verbundenheit und spirituellen Intimität hat begonnen.

Oben angekommen, begann ich meinen Platz einzurichten. Mit dem roten Lebensfaden umkreiste ich den Bereich, den ich mir für die Visionsreise ausgesucht hatte. Meine Schnur war gute 30 oder 40 Meter lang, somit hatte ich die Möglichkeit sowohl einen schattigen Bereich unter den Tannen, sowie einen großen Felsen einzukreisen, auf dem ich tagsüber meditieren, in der Sonne sitzen und in die Ferne schauen könnte. Als der heilige Raum eingekreist war, band Laura die beiden Enden zusammen und ließ mich für die kommenden 4 Tage und 3 Nächte zurück. Die Zeit auf dem Berg begann.

Mental landete ich immer wieder in der Welt der Ameisen und der Frage nach dem Sinn des Lebens

Meine Gedanken drehten sich am ersten Tag vor allem um das Lager und wie ich den ersten Tag gestalten möchte. Wo kann ich am besten und komfortabelsten schlafen? Was mache ich, wenn es regnet, wo habe ich den besten Blick ins Tal? Ich richtete meinen Schlafplatz ein, grub mir ein kleines Loch für das große Geschäft und räumte den Platz ein wenig von großen Ästen, Steinen und sonstigen Dingen frei. Dann setzte ich mich auf den großen Felsen, mit Blick übers Tal und meditierte.

Die Zeit schien kaum vorüber zu gehen. Meine Gedanken kreisten um die üblichen Dinge – Freunde, Familie, Berufliches, das Wetter, wilde Tiere, den Sinn der ganzen Aktion etc. Ich dachte über Gott und die Welt nach, wohin mein Leben in der nächsten Zeit wohl führen wird und hatte unermesslich viel Zeit mich immer wieder im Kreis zu drehen und spiralförmig in die Tiefe zu tauchen, sodass ich irgendwann in der Welt der Ameisen landete 😉 Ich beobachtete bereits am ersten Tag gefühlte 2 Stunden lang die Ameisen wie sie kleine Äste, Blätter und anderes Zeug durch die Gegend trugen und landete immer wieder bei der Frage: Wofür mache ich das hier überhaupt?

Durst und Schwindel ließen mich zweifeln, dass ich die Nacht überlebe

Dies führte dazu, dass ich bereits am ersten Tag mit verschiedenen Emotionen zu tun bekam. Beispielsweise der Sorge, dass ich meine Zeit verschwende, aber auch einem tiefen Gefühl der Verbundenheit mit mir selbst, was mir durch die innere Ruhe und Gelassenheit immer wieder bewusstwurde. Richtig intensiv wurden meine Gefühle vor allem 3ten Tag. Ich spürte immer wieder großen Durst und konnte den ganzen Tag über kaum 3 Meter von A nach B laufen. Mein Mund und Rachen waren ziemlich trocken und da es ab und an ein wenig nieselte, versuchte ich mit meiner Zunge ein paar Regentropfen aufzufangen. Jedes Mal, wenn ich aufstand, wurde mir schwindelig. Ich konnte mich kaum auf den Beinen halten, also blieb mir nichts anderes übrig, als mich immer wieder hinzulegen. Solch einen Zustand kannte ich nicht, was mir auch durchaus Angst machte. Zweifel kamen in mir auf und die Frage, ob es nicht besser wäre die ganze Aktion abzubrechen. War mein Zustand noch in einem medizinisch vertretbaren Bereich oder sind es ernsthafte Anzeichen, am Rande meiner Gesundheit und Lebensenergie? Würde ich die Nacht überleben oder verdurste ich hier, allein auf dem Berg? Was mir immer wieder half, war der Gedanke daran, dass Menschen bei einer 3-Wochen-Fastenkur in der mittleren Woche ganze 7 Tage weder essen, noch trinken. Ich dachte mir: wenn die 7 Tage schaffen, dann packe ich auch 3,5. Tatsächlich beruhigte ich mich damit meist sehr schnell, gab mich der gefühlten Ohnmacht und Antriebslosigkeit hin und tankte die Energie, die durch die aufgewärmten Steine und die frische Brise vorbeizog. Außerdem war das Basislager gar nicht so weit entfernt. Ich wusste, dass ich es schaffen würde dorthin, wenn es wirklich drauf ankäme. Meine Ängste konnte ich damit meist relativ schnell wieder in Zuversicht und Urvertrauen wandeln.

Die Nächte verliefen bei mir insgesamt sehr gut. In der 3ten Nacht, von Samstag auf Sonntag, konnte ich allerdings kaum schlafen. Der Mond schien sehr hell, und vielleicht konnte ich es kaum erwarten wieder etwas trinken und essen zu können. Die Sinnfrage führte mich tatsächlich immer wieder ins Gefühl der Sinnlosigkeit, was in dieser Nacht doch recht häufig auftauchte. Immerhin war ich bereits 3 ganze Tage und 2 Nächte auf diesem Berg, allein – und hatte gefühlt bereits sieben Mal über mein ganzes Leben nachgedacht. Als ich am Sonntag erwachte, kam große Freude auf. Ich wusste, dass heute der Tag ist, an dem ich wieder zurück ins Lager gehen würde und, dass Laura irgendwann mit einem halben Liter Wasser kommen wird, um mich den Berg herunter zu begleiten. Da in meiner Nähe auch ein weiterer Visionär saß, bekam ich mit, als Hugo, sein Begleiter, an meinem Lager vorbei huschte, um ihn abzuholen. Die Zeit, zwischen seiner Abholung und meiner, fühlte sich nochmal wie eine Ewigkeit an. Tatsächlich lag nur eine dreiviertel Stunde dazwischen.

Der erste Schluck Wasser und der Weg runter ins Basislager

Doch dann kam sie – meine Erlösung. Jedenfalls fühlte es sich im ersten Moment so an, als Laura mit dem Wasser ankam, um mich zum Basislager zu begleiten. Der erste Schluck Wasser, nach 82 Stunden, schmeckte so gut wie eine frisch gemachte Limonade am Sandstrand. Nachdem ich einige Schlucke zu mir genommen hatte, fing ich an meine rote Schnur wieder auf den Stab aufzurollen und meinen Rucksack zu packen. Ich verabschiedete mich von diesem Platz, und dankte, dass alles gut gegangen war. Der Weg den Berg hinab, fiel mir allerdings noch recht schwer. Mein Körper war nach wie vor recht schwach, die Knie bei jedem Schritt zittrig. Unterwegs trafen wir noch weitere Visionäre und Apoyos, was in mir ein großes Gefühl der Sicherheit und Freude auslöste. Eigentlich sollten wir, bis nach der letzten Schwitzhütte, keinen Augenkontakt haben, doch die Freude darüber uns wiederzusehen und es geschafft zu haben, zog uns magisch an. Wir blickten uns alle kurz an, mit strahlenden Augen. Ein äußerst schöner Moment der Verbundenheit!

Ein letztes Mal schwitzen, beten und singen – das Abschlussritual

Im Basislager angekommen, gingen alle Visionäre ein letztes Mal in die Schwitzhütte. Es warteten bloß 2 Runden auf uns, doch die hatten es in sich. Da ein jeder die Gelegenheit bekam zu sprechen, zog sich die 2te Runde sehr in die Länge. Ich wollte die Schwitzhütte nicht vorzeitig verlassen, also konnte ich mich dem Geschehen wieder nur hingeben und lag mit meinem Gesicht auf dem kühlen, erdigen Boden. Mein Gebet war ein Dankesgebet: Für die intensive Erfahrung und die liebevolle Begleitung der Abuellos. Abschließend verbrannten wir alle unseren Stock mit dem roten Lebensfaden und den 404 Gebeten. Ein ritueller Akt der Transformation. Die Integration begann.

Was ich aus diesem Ritual für mich und mein Leben mitnehme

Ich muss schon gestehen: Die ersten Tage nach dem Ritual war ich froh, dass es vorbei war. Ich konnte keinen tieferen Sinn für mich erkennen, und empfand die Aktion eher als äußerst lästig. Mikel, ein Leiter, sagte mir allerdings, dass es den meisten Teilnehmern so geht, ohne dass ich ihn überhaupt danach gefragt habe. Außerdem führte er hinzu, dass die meisten im nächsten Jahr dann wiederkommen, höchst motiviert es wieder zu erleben. Das gab mir zu denken.

Jetzt, gute 2 Monate später, erkenne ich immer mehr den großen Wert dahinter. Es war für mich eine Lektion in Hingabe, Urvertrauen und Demut. Zu wissen, dass ich äußerste Grenzerfahrungen, wie die brutale Hitze in der Schwitzhütte, oder großen Durst und Zweifel, durch Hingabe meistern kann, erdet mich. Es zeigt mir welch schützende und nährende Kraft von der Erde in Form von Lebensenergie zu mir fließt, selbst in intensiven Ausnahmezuständen. Es schenkt mir Urvertrauen und den Glauben daran, dass ich gehalten und geborgen bin – selbst, wenn ich ganz alleine in der wilden Natur mehrere Tage und Nächte verbringe. Und zuallerletzt macht es mich demütig. Ich erkenne, dass ich „nur“ ein Teil des Ganzen bin und, dass es etwas Höheres und Größeres gibt, als mich. Die Erde ist unermesslich groß, die Kraft, die alles Leben antreibt, ist in mir, und in uns allen. Sie macht mich kraftvoll und ohnmächtig zugleich. Ich erkenne, dass ich ein geistiges Wesen bin, das den Beschränkungen des Körpers unterliegt. Auch wenn ich die Grenzen dehnen und weiten kann, so ist es doch wichtig sie zu achten, so wie es wichtig ist die Ressourcen und Kapazitäten der Erde zu achten. In dieser liebevollen und vertrauten Symbiose, als Mensch mit der Erde und dem Universellen verbunden, bin ich beschützt, gesegnet und in meiner Kraft.

Alles in allem war es eine sehr wertvolle Erfahrung. Ich komme, je mehr Zeit ins Land geht, und je öfter ich darüber berichte, zu immer mehr Erkenntnissen und Einsichten. Ich nehme mal an, dass Mikel genau das gemeint hat. Es scheint dadurch jedenfalls eine nachhaltige und tiefgehende Praxis zu sein. Der Sinn entfaltet sich über viele Wochen und Monate, wie eine Pflanze, und das Leben an sich. Wahrscheinlich werde ich weiter machen, wie es die Tradition vorgibt. Jeder Visionär gibt das Commitment für 4 Jahre. Ihr könnt also gespannt sein, was ich in 4 Jahren berichte.

In Hingabe und Verbundenheit

Dawid